Psychologie: Warum wir Tankstellen so lieben


Während ein Großteil der Autofahrer das Anfahren einer Tankstelle als lästige Pflicht empfindet, haben Tankstellen auf uns Automobil-Enthusiasten eine magische Wirkung. Nirgendwo sonst lässt es sich so entspannt treffen und Benzingespräche führen. Doch was ist das besondere daran? Was genau passiert in unserem Geiste?

Ein kleiner Rückblick

2005 – als 19-jähriger Auto-Begeisterter wollte ich so oft wie nur möglich etwas mit meinem ersten eigenen Auto und gleichgesinnten Auto-Begeisterten unternehmen. Zu jener Zeit traf sich die Autoszene Reutlingens an einer Tankstelle im Industriegebiet, an der sich angrenzend eine Schnellstraße und eine lange, vierspurige Gerade befand. Während wir uns ganz cool an unsere ersten Autos (Renault Twingo, FIAT Punto und Ford Escort) lehnten, trafen sich ein paar Meter neben uns „die coolen Jungs“ von damals. Auch wenn wir es damals nie zugeben wollten: Wir sind dort hingefahren, um „die Großen“ mit ihren coolen Autos zu sehen. BMW E46 M3, VW Golf 3 VR6 mit Turbo-Umbau und Flammen aus dem Auspuff, Porsche 996 – alles Autos, von denen man als Fahranfänger nur träumen konnte. Immer mal wieder fand ein Rennen statt und wir waren begeistert, auch mal live die Traumautos aufheulen und fahren zu sehen.

Ende und Neuanfang

Tankstelle Reutlingen Autotreffen AUTODROM
Es ist ruhiger geworden an der Tankstelle: Von offensichtlichen Rennen keine Spur.

Das gesamte Spiel fand sein tragisches Ende, als ein Rennen auf der Schnellstraße tödlich ausging und die Polizei – Gott sei Dank! – die Szene und die abendlichen Tankstellen-Treffen durch entsprechende Patrouillen und Kontrollen beendete. Auch ich verließ wenige Jahre später meine Heimatstadt Reutlingen, um knapp ein Jahrzehnt später mit dem Hochschulabschluss in der Hand wieder zurückzukehren und eine ähnliche, aber deutlich veränderte Auto-Szene vorzufinden. Alles ist ruhiger geworden, auch wenn die modernen Autos immer lauter werden. Heute trifft man sich zum Austauschen an der „Tanke“ und es zieht immer mehr Youngtimer- und Oldtimer-Liebhaber an – darunter auch mich.

Da ich die meiste Zeit während meines Studiums kein eigenes Auto besaß, schwand mein Interesse an den besagten Tankstellen-Treffen und dadurch auch mein Blick für die Szene. Heute, Jahre später, zieht es mich abends immer wieder an Tankstellen. Auffällig dabei ist, dass es unter Autoliebhabern oft selbstverständlich ist, sich an der Tankstelle zu treffen, auch wenn man nicht gerade mit einer Spezi in der Hand den ganzen Abend am Auto lehnt.

Psychologische Erklärung

Das Phänomen „Tankstelle“ beschäftigt mich seit Monaten und ich scheute mich nicht, Fachliteratur zu blättern und mich mit Psychologen zu unterhalten. Das Ergebnis ist so trivial, dass man sich anschließend schmunzelnd an die Stirn greift: „Eigentlich, liegt’s ja auf der Hand!“. Wir Menschen sind hochkomplizierte und doch so einfache Wesen.

Fangen wir oberflächlich mit den Argumenten an, auf die theoretisch jeder kommen kann:

  • Tankstellen sind in der Regel 24 Stunden geöffnet, wodurch sie selbst zu später Stunde die Versorgung mit Getränken, Snacks oder Zigaretten sicherstellen.
  • Parkplätze sind immer vorhanden und das eigene Auto lässt schnell und einfach in Szene setzen. Selbst wenn man einen Kaffee im Warmen genießt, bleibt einem immer noch der Blick aufs eigene Liebhaberstück. Wer schaut denn ungern seinen geliebten Alltags-Klassiker an?
  • Es gibt immer etwas zu sehen: Autos kommen und gehen, hin und wieder sogar etwas besonderes, was man nicht alle Tage zu Gesicht bekommt. Tankt dieser Wagen sogar, hat man ein wenig mehr Zeit, sich daran satt zu sehen.
  • Gleichgesinnte: Nicht selten taucht ein anderer Auto-Enthusiast an der Tankstelle auf und man kommt ins Gespräch – wir Auto-Liebhaber erkennen uns!

Theoretisch könnte man hier einen Punkt machen und meine „kleine Studie“ schließen, doch ich wollte mehr wissen. All‘ diese Argumente sprechen für sich, erklären aber nicht die Selbstverständlichkeit, mit der wir Autofans uns an Tankstellen treffen. Was genau passiert da in unserem Geiste? Warum ist es für Auto-Begeisterte das natürlichste der Welt, sich hin und wieder abends mit dem Auto an der Tankstelle zu treffen, für „normale“ Menschen aber nicht?

Brücken im Gehirn

Unser Gehirn arbeitet viel mit Erinnerungen und Assoziationen. Unbekanntes wird mit bereits Erlerntem abgeglichen und sobald ein ähnliches Muster erkannt wird, übertragen wir die gleiche Struktur auf das Neue. In diesem Fall bedeutet das, dass wir Auto-Begeisterte die Tankstelle als solche, bzw. das Besuchen einer Tankstelle mit dem eigenen Auto, zur abendlichen Stunde mit etwas ganz Anderem assoziieren und dadurch dieses Handlungsmuster entwickeln.

Mit Freunden gehen wir gerne ins Restaurant essen oder in eine Bar, um etwas zu trinken und um uns zu unterhalten. Ähnliches wollen wir mit unserem „Freund“, dem Auto, erleben. Die emotionale Bindung zwischen nicht-Auto-Affinen und ihrem Auto ist die gleiche, wie zu einer Kaffeemaschine oder Waschmaschine. Man ist zwar dankbar, dass es dieses Gerät gibt und profitiert von seinen Funktionen, baut aber keinerlei Bindung dazu auf. Wir Automobil-Enthusiasten dagegen nehmen rein emotional unser Auto nicht mehr als Gebrauchs-Gegenstand wahr, sondern eher als Freund oder Begleiter, um den man sich kümmert. Vergleichbar ist es mit den Cowboys und ihren Pferden. Der Reiter ist auf sein Pferd angewiesen und möchte deshalb, dass es dem Pferd auch gut geht. Daher pflegen wir unsere Autos entsprechend, achten sie, passen auf sie auf und gehen auch entsprechend mit ihnen um.

Automobil-Enthusiasten gehen rein emotional mit ihrem Auto aus.

Daraus folgt, dass wir Autoliebhaber psychologisch gesehen mit unserem Auto ausgehen. Wir bringen es in eine autofreundliche Umgebung (Tankstelle!) und da wir uns mit Gleichgesinnten treffen, lassen wir die Fahrzeuge auch Teil unserer Gesellschaft werden – auch wenn wir uns nicht aktiv mit dem eigenen Auto oder dem Wagen des anderen unterhalten! Schließlich geht es bei besagten „Benzingesprächen“ meistens um die eigenen Autos, so gesehen sind sie schon ein Teil der Gesellschaft.

Auto-Bar?

Unbewusst empfinden wir die Tankstelle quasi als Bar oder Restaurant, welche man mit seinem Auto besuchen kann. Da man dort auch tanken kann, ist es im übertragenen Sinne ja auch ein Restaurant oder eine Bar für Autos – unter anderem ein Grund, warum wir grundsätzlich dazu neigen, beim Treffen an der Tankstelle nach dem Öl und Wasser des Autos zu schauen. Ganz getreu dem Motto: „Vielleicht hat es ja auch Durst!“. Ein ähnliches Verhalten sieht man bei Hundebesitzern, die sich ihre Ausgeh-Locations nach Hunde-Freundlichkeit aussuchen.

Marketing-Psychologie und Beispiele

Die großen Konzerne haben diese Strukturen schon lange erkannt und handeln entsprechend, was sich in ihren Produkten und Slogans wiederspiegelt: „Nur das beste für ihr Auto!“. Ein paar Beispiele für entsprechendes Verhalten seitens Unternehmen und Endverbraucher:

  • Der Otto-Normalverbraucher benutzt Motoröl für sein Auto, der Auto-Liebhaber setzt auf MOTUL, Castrol oder Mobil 1.
  • Der Durchschnitts-Autofahrer tankt Benzin, am besten da, wo es am günstigsten ist, der Auto-Enthusiast dagegen nur an namhaften Tankstellen sein kostbares ARAL ultimate, Shell V-Power oder Total Excellium.
  • „Neue Reifen“ reichen den meisten Autofahrern, bei Auto-Fans müssen es unbedingt Premium-Markenreifen sein.

Klingt alles ein wenig übertrieben? Schau beim nächsten Tanken einfach mal die Werbungen und Slogans an – das erklärt alles. Es ist absolut nicht verwerflich, dass sich Unternehmen und Großkonzerne diese psychischen Strukturen von Menschen zu Nutze machen, ohne zielgruppenorientiertes Marketing könnten die meisten ihr Geschäft direkt schließen.

Eine weitere Bestätigung

Tankstelle Reutlingen Autotreffen AUTODROM
Bis spät in die Nacht – auch wenn man nur zu zweit ist.

Es ist interessant und erschreckend zugleich, die Beweggründe unseres Handelns zu erfahren, man fühlt sich ein wenig ertappt. Der Mensch ist zu vielem fähig und die Tatsache, dass wir in der Lage sind, einem mechanischen Gegenstand „eine Seele zu geben“, beeindruckt. Nicht immer geht das gut, viele Menschen verlieren sich in dieser „Liebe zum Auto“ und verlieren dadurch die Fähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen auch als solche wahrzunehmen oder genießen zu können. Von krankhaften Ausmaßen ganz abgesehen. So sehr man sein Auto liebt, aus meiner Sicht ist diese „Liebe“ keineswegs mit der zwischenmenschlichen Liebe und Beziehung zu vergleichen. Nichtsdestotrotz ist es als Auto-Liebhaber schön zu hören, dass die Liebe zum Auto doch wahre Liebe ist.


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