Paris 1976: Ein Fahrzeug rast aus einem Tunnel. Die Kamera ist direkt an der Stoßstange montiert. Der ohrenbetäubende Sound eines Sportwagens zerreißt die Stille des frühen Morgens. Der Wagen beschleunigt, mit quietschenden Reifen geht es um die ersten Kurven. Kurz darauf taucht der Arce de Triomphe auf, dann die Avenue des Champs-Élysées. Die anderen Verkehrsteilnehmer hupen und weichen aus. Was steckt hinter dieser Geschichte? Was steckt hinter einem der spektakulärsten Autofilmen aller Zeiten?
Von der Hommage zum Original

Der vor 41 Jahren gedrehte Kurzfilm „C’était un rendez-vous“ vom französischen Regisseur Claude Lelouch wurde dieses Jahr von Ford in einer Hommage adaptiert. In dem 1:35 Minuten langem Clip „Re-Rendez-Vous“ spielt der Ford Mustang GT die Hauptrolle. An ausgewählten Schauplätzen des Originals kann man Paris in einem interaktiven 360°-Video genießen:
Die Hommage von Ford ist technisch sehr gut umgesetzt worden und zeigt auch einige Parallelen zum Kurzfilm von Claude Lelouch auf. Kann das Remake dem Original an Spannung und Finesse jedoch das Wasser reichen?
Adrenalin pur!
Zurück zum Original: Wer diesen Kurzfilm nicht gesehen hat, wird nicht glauben was darin geschieht. Die Kamera schwebt nur wenige Zentimeter über dem Asphalt. Der Klang des hochdrehenden Motors lässt das Herz schneller schlagen. Zu Beginn meint man als Zuschauer, einen Film in Zeitraffer zu sehen: Der Wagen taucht aus einem Tunnel in das frühmorgendliche Paris ein und jagt in atemberaubendem Tempo eine Straße hinauf. In den Kurven quietschen die Reifen, ohne Rücksicht auf entgegenkommende und vorausfahrende Fahrzeuge, schlängelt sich der Fahrer durch den zum Glück noch sehr spärlichen Verkehr der französischen Hauptstadt. Weder rote Ampeln, querende Fahrzeuge oder eilig aus der Gefahrenzone springende Fußgänger, noch die Verkehrsregeln halten den Fahrer davon ab, Vollgas zu geben.
„In dem Film ging es nur darum, zu fahren. Ich meine, es geht immer nur darum, zu fahren!“
Nachdem der Arce de Triomphe umrundet ist, beschleunigt der Fahrer auf der Avenue des Champs-Élysées. Jeder Gang wird komplett ausgefahren. Entlang der Tuillérien und durch den Louvre geht es in engen Gassen auf den Montmartre hinauf, wo die Fahrt vor den Stufen der Kirche Sacré-Coeur endet. Die Schlussszene zeigt ein Panorama über Paris, eine hübsche Frau in weißem Kleid läuft eilig die Stufen hinauf, der Fahrer steigt aus, läuft ihr entgegen. Die beiden fallen sich in die Arme. Ende.
Kribbeln im Bauch
Aber viel spannender ist doch tatsächlich das, was vor dieser Schlussszene geschieht. Diese gibt zwar Grund für die Hetzjagd – wer möchte schon seine Herzensdame warten lassen? Jedoch sind es die vorangegangenen 8 Minuten, die weitaus interessanter sind.

Kein einziger Schnitt, keine Spezialeffekte, keine abgesperrten Straßen und kein Filmset sind für diese spontan entstandene Produktion verwendet worden.
„Wir haben nur einen Versuch. Entweder es klappt oder es klappt nicht“
Claude Lelouch hatte eigenen Aussagen nach noch knapp 10 Minuten unbelichteten Film von einer anderen Produktion über. Die Idee zum Dreh von „C’était un rendez-vous“, was mit „es war ein Stelldichein“ übersetzt werden kann, kam ihm abends zuvor. Er rief seinen Kameramann und seinen Assistenten an, um ihnen von seiner Idee zu berichten und sie verabredeten sich für den nächsten Morgen, um das Projekt umzusetzen.
Als Fahrzeug nutzte Lelouch seinen eigenen Mercedes-Benz 450 SEL 6.9 mit einem 6,8-Liter-V8-Motor, der 286 PS leistete. Neben der Leistung war jedoch das Fahrwerk ausschlaggebend. Durch das hydropneumatische Fahrwerk sind selbst bei hohen Geschwindigkeiten ruckelfreie Aufnahmen möglich. Um den passenden Sound zu erhalten, fuhr Lelouch die Strecke nochmals mit einem Ferrari 275 GBT ab und legte die Tonaufnahmen über die originale Tonspur.
Viele Mythen ranken sich um die Hintergründe
Wer saß am Steuer? War es ein professioneller Rennfahrer? Namen wie Jacques Lafitte oder Jacky Ickx werden genannt. Von der Beschlagnahmung der Originalaufnahmen wird gesprochen, Lelouch soll sogar im Gefängnis gelandet sein.
Die Gefahren waren real
Unabhängig von den Mythen und Gerüchten, die sich mittlerweile um den Kurzfilm ranken, ist eines sicher: Legal war dieser Dreh nicht. Lelouch ignorierte mindestens 15 roten Ampeln, befuhr Einbahnstraßen in entgegengesetzter Richtung. Mehrmals überschritt er die Geschwindigkeitsbegrenzungen – auf der Champs-Élysées soll Lelouch mit über 110 km/h unterwegs gewesen sein.
„Ich hätte mich nie zwischen einem Menschenleben und dem Film entschieden.
Ein Film ist schließlich nur ein Film“
Lelouch war sich der Gefahr des Drehs zu jeder Zeit stets bewusst. Einige Szenen wirken wie Stunts. Wie das Auto zum Beispiel aus dem Hof des Louvre schießt. Später berichtet der Regisseur, dass an dieser Stelle ein Assistent bereitgestanden habe, um ihn vor möglichen Gefahren über Funk zu warnen. Jedoch soll das Gerät an diesem Tag nicht funktioniert haben. An einer anderen Stelle muss Lelouch vor einer roten Ampel auf die Gegenfahrbahn ausweichen, dabei wird es zwischen einem entgegenkommenden Bus und dem Mercedes sehr knapp. Einem Müllfahrzeug weicht Lelouch über den Gehweg aus, eine junge Frau kann hier nur noch haarscharf dem Mercedes ausweichen.
Neben dem Bewusstsein um die Gefahren und der frühen Morgenstunde des Drehs, wo auf den Pariser Straßen der Verkehr nur sehr spärlich floss, hatte sicherlich auch eine sehr große Portion Glück dazu beigetragen, dass beim Dreh niemand zu Schaden gekommen ist.
Längst eine Legende
So radikal, riskant und vor allem authentisch kann kein Autofilm jemals sein. Die Tuning-Legende Carroll Shelby bezeichnet den Film als „außergewöhnlich“, die britische Autozeitung „Car & Driver“ schreibt, dass Lelouch’s Werk besser sei „als jede Verfolgungsjagd, die je inszeniert wurde, denn dies ist echt!“ und der ehemalige Top-Gear Star Jeremy Clarkson ist der Meinung, dass im Vergleich dazu „Steve McQueen’s Bullitt wie eine Karikatur erscheint“.
Lelouch’s Meisterwerk gehört eindeutig in jede Filmsammlung, jedoch zeigt sich der Legendenstatus des Streifens auch in den Preisen, die dafür verlangt werden. Aktuell muss man für die DVD stolze 200 Euro auf amazon.de zahlen. Alternative: Gebraucht kaufen! – das kostet schließlich nur einen Bruchteil des überteuerten Neupreises. Auch wenn es sich nur um einen 8-minütigen Kurzfilm handelt, lohnt es sich, dieses Meisterstück sein Eigen nennen zu können.