Auch ein Stück Pustekuchen?


“Hey Moe, ich liebe den Enthusiasmus und die Euphorie wenn du über Autos schreibst!” – meistens habe ich etwas tolles zu berichten und bin dadurch auch sehr euphorisch. Wir alle wissen jedoch, dass das leider nicht immer der Realität entsprechen kann.

Jeder, der ein älteres Auto aus Überzeugung und Liebe fährt, jeder Schrauber, der mehr am Auto tauscht als Leuchtmittel und jeder “Low Budget”-Fanatiker, der ohne immensen Geldsegen versucht seinen Traum zu leben, kennt den Moment, wenn man mit seinem Latein am Ende ist, nichts so funktionieren will wie man es möchte und man dazu geneigt ist alles hinzuschmeißen. Auch mir geht es im Moment nicht anders – Twingo sei Dank.

Überzeugt genug?

Ich habe den Twingo aus Überzeugung geholt, nach meinen Erfahrungen mit den zwei BMW E39 hielt ich einen kleinen Franzosen mit vergleichsweise unspektakulärer Technik für einen Spaziergang. Seitdem ist etwas über ein halbes Jahr vergangen, schon vier Monate ist meine Geliebte Madeleine im Winterschlaf und ich fahre ausschließlich Renault. Und ja, ich fahre den kleinen Twingo aus Überzeugung.

Während die Sommermonate klimabedingt für eine gewisse Leichtigkeit sorgen und das tolle Faltdach für reichlich Dopamin beim Fahren sorgt, sehne ich mich gerade im Winter sehr nach meinem BMW-Wohnzimmer in Sportstudio-Optik. Nach den bequemen Sitzen des 5ers und der Ruhe, die dieser Wagen ausstrahlt. Wie oft saß ich bei laufendem Motor im 5er vor meiner Halle und wünschte mir, ich könnte ihn einfach mitnehmen. Wie oft stand ich mit dem Werkzeug in der Hand neben meiner Madeleine, um schließlich “Scheiß drauf…” zu murmeln und alles einzupacken, weil ich schlicht und ergreifend kein Bock hatte in der Eiseskälte der schwäbischen Alb unter dem Auto zu erfrieren. Dabei war doch die Vorstellung so romantisch: Ich nutze die Winterzeit, um an meinem Auto zu schrauben und sämtliche Kleinreparaturen zu erledigen, um dann im Sommer die Zeit mit Fahren verbringen zu können. Tja, Pustekuchen. Der 5er steht exakt so da wie ich ihn eingelagert habe – inklusive der Handvoll Ersatzteile im Kofferraum.

Zeitgleich offenbart der kleine Renault Twingo seine volle Kreativität, wenn es darum geht mich “bei Laune” zu halten: “Ach, dich stören Dröhn- und Klappergeräusche? Hier hast du nochmal 241 neue Geräusche, dieses Rätsel zu lösen macht dir bestimmt Spaß!” – wie reizend. Dank des Dröhnens ist auch der Drehzahlmesser obsolet, da der Wagen bei jeder Drehzahl was anderes zum Lärmen bringt. Der große Vorteil vom Twingo: da er so klein ist, kann man in einer normalen DIN-Garage schon ordentlich an der kleinen Kiste schrauben. Also nichts wie ran an den Speck!

Kalter Schnauzer

Ein bisschen Recherche, eine Handvoll Euros leichter und etwa eine Woche später, stehe ich bei Nieselregen vor meiner Garage, habe nahezu alle Pullover und Hosen, die ich in meinem Kleiderschrank auf die Schnelle finden konnte, an und eine Menge Kleinteile im Gepäck.

Ich fühle mich wie ein Astronaut in voller Montur und einer klaren Mission: Twingo entdröhnen.

Übereifriger Moe mit einem Hang zur Selbstüberschätzung

Voller Elan mache ich mich an die Türen, dem Hauptdröhnfaktor Nummer eins. Zerlege beide Türpappen komplett, sauge die Tür-Zwischenräume falls sich irgendwas darin verselbstständigt hat und entsorge die alten Clips. Die Neuen baue ich mit chirurgischer Akribie ein, umwickele die Steckplätze mit etwas Butyl, um eventuelles Geklapper im Keim zu ersticken. Auch Unmengen an Schaumstoff finden Einzug in das Türinnenleben, um auch wirklich alle beweglichen Teile daran zu hindern, Geräusche von sich zu geben. Stolz wie Bolle betrachte ich mein Werk, schraube alles zusammen und mache mich an die andere Tür.

Bei der ersten Probefahrt bilde ich mir die ersten sechs Meter tatsächlich ein, ich hätte es geschafft und freu mich wie ein Kind auf Weihnachten – bis mich der erste Gullideckel davon überzeugt, dass ich lediglich ein paar Stunden Lebenszeit vergeudet habe: Der Twingo klappert fröhlich ungestört weiter – meine Arbeit scheint ihn nicht beeindruckt zu haben. Danke für diese Scheißkontruktion, Renault.

Kreativität neu entdeckt

Zwei Tage später: Ich bin unterwegs zu Freunden und fahre noch kurz an die Tankstelle, um mir meine Mädchencola “Cherry Coke Zero” zu holen. Schon auf dem Weg merke ich, dass mich sämtliche Passanten dämlich anschauen. Kaum an der Tankstelle sehe ich, dass die Warnblinkanlage blinkt – allerdings ohne das typische Relais-Klacken und Kontroll-Lämpchen im Tacho. Dem kleinen Franzosen interessiert es nicht ob ich den Warnblink-Schalter betätige oder nicht. Erst nach mehrmaligem ein- und ausschalten der Zündung vergeht ihm die Freude am Blinken. Jetzt recherchier mal nach einer potenziellen Lösung für so einen Quatsch…

Doch die Laune des kleinen Franzosen endet nicht hier: Das Gewindefahrwerk hat seine beste Zeit hinter sich, die Heckklappe schließt nach Lust und Laune, einmal im Monat funktioniert die Zentralverriegelung für einen kurzen Moment, jedoch ohne den Taster am Schlüssel zu drücken, die Lüftungsregelung ist ein Zufallsgenerator, das Armaturenbrett dröhnt und klappert täglich woanders und gelegentlich fehlt ein Drehregler von der Lüftungseinstellung. Ich möchte es wirklich sehr, aber ich schaffe es einfach nicht, all diese “Eigenheiten” als “Charakter” zu sehen.

Gleichzeitig wehrt sich etwas in mir, den Twingo abzugeben und ihn durch etwas anderes zu ersetzen. Zum einen finde ich den Kleinwagen, wenn er mal richtig tut, grandios und einfach schick. Das ist mein erstes Auto, dass ich nach 15 Jahren wieder besitze und ich finde es toll, dass mich mit dem Vorbesitzer Deniz eine tolle Freundschaft verbindet, die durch den Twingo nur noch verstärkt wird. Auch wenn ich es ausschließe, dass diese Freundschaft in irgendeiner Art und Weise durch den Verkauf vom Twingo leiden würde, empfinde ich es doch ein wenig als Verrat, die kleine Kiste einfach zu veräußern. Bonusrunde: Meine liebe Gemahlin findet den Twingo toll, ich darf ihn nicht hergeben.

BMW-verwöhnter Schnösel

Toller Ausgangszustand, nicht wahr? Nun, ich habe mir mehrere Optionen überlegt, wie ich mein Twingo-Erlebnis wieder aufwerten könnte – ob das alles aber so klappt steht in den Sternen. Fakt ist, dass da eine Menge Arbeit und ein paar Geldscheinchen in das Auto fließen müssen, um daraus wieder etwas Gutes zu machen – und da gibt es immer noch „den FAIL-Faktor„, dass alle Bemühungen völlig umsonst sind. Auch priorisiere ich meinen BMW 5er wenn es um Investitionen in meinen Fuhrpark geht – und Madeleine braucht frische Dämpfer, Domlager und Tonnenlager. Außerdem möchte ich den nächsten Reifenwechsel mit neuen Felgen kombinieren (einmal 17” Styling 66, bitte). Um die Twingo-Wehwechen in Griff zu kriegen, bedarf es nicht nur ein bisschen Geld, sondern auch ein paar Teile, die es kaum zu kaufen gibt. Twingo-Lenkräder sehen in der Regel immer vergriffen und eklig aus und neu beziehen ist bei einem Kunststoff-Lenkrad nicht die schickste Option, da es immer gebastelt aussieht.

Als verwöhnter BMW-Fahrer fehlt mir vor allem eins: Der BMW Teilekatalog. VIN eingeben, Teilenummer raussuchen, kaufen, einbauen, passt. Nur dass der Twingo kein BMW ist, sondern ein Renault. Renault Teilekatalog? Fehlanzeige. Eine Übersicht der verbauten Teile nach Modell, Baujahr oder VIN? Denkste. Passende Teile für den Twingo zu finden ist ein Krampf. Als ich den Ölfilter tauschen wollte, spuckten mir alle Ersatzteilshops vier (!) verschiedene Ölfilter für meinen Motor aus. Vier! Auch mein Gang zur “Schwarmintelligenz” von selbsternannten Forums-Wissenschaftlern brachte mich nicht weiter: “Ja musst halt schauen was verbaut ist, abmessen und einfach ersetzen.” – Ach echt? Danke für diesen unfassbar hilfreichen Tipp, du hast mein Leben verändert. Volksheld.

Echte Schrauber am Twingo sind eine Seltenheit. Die meisten erhalten die kleinen Autos irgendwie am Leben und lassen alles in irgendwelchen unfähigen Werkstätten „vom Praktikanten“ erledigen. ATU muss ja auch irgendwie Geld verdienen. Die häufigste Gattung Twingo-Schrauber ist zeitgleich auch die schlimmste: Zwei linke Hände, völlig talentfrei, keine Erfahrung und nicht einmal in der Lage einen Schraubenzieher von einem Korken zu unterscheiden, dafür aber voll motiviert den Twingo nicht nur zu reparieren, sondern auch noch zu „tunen“.

Müll oder Schatz?

Bei den Verkäufern wird’s auch nicht besser. Generell gibt es bei den Verkäufern von Twingo-Teilen zwei Sorten: “Zu verschenken” oder “Das ist ein Klassiker, Preise orientieren sich am Goldpreis.” – während der eine seinen Ramsch loswerden will, möchte der andere für das gleiche Teil (!) mehrere hundert Euro. teilweise sogar mehr als der aktuelle Neupreis bei Renault direkt. Das Problem dabei ist, dass die billigen Teile in der Regel nur Müll sind oder zumindest so behandelt werden und die teuren…
…in der Regel nicht besser sind. Der Verkäufer hat sich nur etwas mehr Mühe gegeben sie schön zu fotografieren. Na immerhin.

Ich verstehe, dass für die meisten Menschen in Deutschland ein Twingo nicht zu den erhaltungswürdigen Autos gehört, aber ein bisschen Würde hat der Kleine schon verdient. Seit Jahren prophezeie ich es: Es wird die Zeit kommen, in der Twingos richtig teuer werden. Die Abwrackprämie hat einen Großteil des Bestands vernichtet, dazu kommt dass er der letzte klassische und innovative Kleinwagen vom Schlag MINI, FIAT 500 und 2CV ist. Gut erhaltene Exemplare aus den ersten Baujahren erreichen heute schon fast fünfstellige Summen beim Verkauf in Frankreich. Der deutsche Markt ist diesbezüglich noch nicht aufgewacht und jetzt rate mal wohin die ganzen “Schrott-Twingos” aus Deutschland hinwandern werden. Dass meiner Mal wirklich an Wert gewinnen wird schließe ich aus – der Wagen ist schlicht und ergreifend zu verbastelt, zu verbeult und auch schon zu kaputt. Man müsste dafür tatsächlich alles zerlegen und den Eimer von Grund auf neu aufbauen – nicht einmal die Vorstellung rentiert sich.

Weg damit oder Geld verbrennen?

Zurück zur aktuellen Schwierigkeit: Weg damit oder Geld verbrennen? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht, tendiere aber dazu dem Kleinen eine Chance zu geben und es wenigstens zu versuchen ihn in einen würdigen Zustand zu bringen, ohne gleich mehrere Tausend Euro zu verbrennen. Das Motörchen läuft ausßerordentlich gut bislang, selbst wenn der den Geist aufgibt gibt es für rund 200€ Ersatz. Im Idealfall finde ich einen zweiten schwarzen Twingo in sehr gutem Zustand aber mit Motorschaden, sodass ich aus beiden Autos ein gut funktionierendes bauen kann. Es wird sich zeigen.

Ich versuche immer noch abzuwägen, ob mir der Twingo in den letzten Monaten mehr Freude oder Kopfschmerzen bereitet hat, jedes Ergebnis würde ihm aber nicht gerecht werden – im Sommer punktet der Kleine mit seinem Faltdächle, nicht im Winter.


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