Der Anstand gebietet es, sich von einem Auto auch anständig zu verabschieden, erst recht wenn der Anfang dieser Geschichte voller Emotionen war. Das Ende war weniger von Gefühlen geprägt, zeitgleich aber sehr lehrreich und befreiend.
Seltsam, wie sich die Sicht der Dinge verändert. Manchmal muss man gewisse Umstände und „Träume“ einfach mal durchleben, um sie verstehen, greifen und beurteilen zu können. Mit 21 legte ich meinen ersten Twingo unfreiwillig aufs Dach und schwor mir, eines Tages wieder so ein Auto zu kaufen und selbst zu bestimmen, wann ich es wieder abgebe – daher kam Deniz‘ Angebot ziemlich gelegen und ich schlug zu. Nach etwas Arbeit und übersichtlichen Investitionen, stand der kleine Franzose nun so da, wie ich es mir mit 21 gewünscht hätte: T-Lines, Tieferlegung, lackierte Stoßstangen und Nebelscheinwerfer.
La vie en rose
Die ersten Tage im Twingo waren tatsächlich eine Offenbarung. Nach mehreren Jahren hinterm Steuer eines BMW E39, fühlt sich der Renault nach Spielzeug an, nach einem kleinen Kart, das zum Spaß haben gebaut wurde. Als Familie nutzten wir den kleinen Eimer für nahezu jede Fahrt in die Stadt und ich genoss die Leichtigkeit und das unkomplizierte Dasein des Wagens.
Statt an die Erinnerungen von „damals“ anzuknüpfen, schuf der kleine Twingo ziemlich rasch neue, deutlich wertvollere Erinnerungen. Wenn ich heute an den Twingo zurückdenke wirkt meine Jugend damit plötzlich sehr verschwommen, Momente mit meinen Kindern im Twingo, die Freude meiner Tochter mit diesem süßen Auto irgendwas zu machen ist mir deutlich mehr wert als die Geschichten von damals. Meine liebe Frau, die anfangs dem Ganzen sehr neutral gegenüberstand, entwickelte schnell ihre eigene Zuneigung für den Twingo und ließ des Öfteren ihren BMW 3er stehen, um mit dem kleinen Franzosen zu fahren. In diesem einen Jahr, in dem der Renault mit uns sein konnte, wurde er tatsächlich zum Teil der Familie und schwer wegzudenken. Leider nicht für mich.

Zu alt für den Spaß
Es mag dekadent klingen, aber so lange ich die Wahl habe, mit welchem Auto ich fahren möchte, ist der Twingo ein tolles Auto und macht riesig Spaß. Das änderte sich schnell, als ich meinen BMW für die Winterpause einmottete und dadurch gezwungen war, den Twingo als mein einziges Auto zu benutzen. Das Geklapper, die wenig komfortablen Sitze und das harte Fahrwerk sind auf Dauer eine Zumutung. Manchmal möchte man doch einfach seine Ruhe haben und an schlechten Tagen, wo sich die Rückenschmerzen wieder melden, ist eine Sardinenbüchse mit Gewindefahrwerk die falsche Option. Egal was nach dem Twingo kommt: Es wird komfortabel und ruhig sein, nicht zwangsweise schnell.
An Leistung hat es mir nie gefehlt im Twingo. 58PS bilden das untere Ende der automobilen Nahrungskette, können aber effizient genutzt werden wenn man als Fahrer:in das Auto kennt. Nicht selten konnte ich mit ihm dem ein oder anderen deutlich potenteren Auto die Stirn bieten. Auch bin ich der Meinung, dass Leistung in Autos überbewertet wird – der Charakter muss stimmen und ein Auto muss ausgewogen sein. Am Verwendungszweck gemessen, erübrigt sich das Thema sehr schnell. Ein Auto, dass mich täglich zur Arbeit bewegt und uns vier am Wochenende mal in die Innenstadt kutschiert, muss nicht besonders leistungsstark sein. Die Generation meiner Großeltern ist im Fiat 500 mit „irgendwas-und-zwanzig“ PS und vier Leuten plus Gepäck über den Landweg nach Griechenland in Urlaub gefahren und die letzte Autoreise nach Griechenland mit meinen Eltern haben wir damals im E46 316i mit 105 PS geschafft. So viel zum Thema Leistung.
Der Auslöser

Was mich letzten Endes dazu bewegte, den Twingo zu verkaufen, war die Summe vieler Kleinigkeiten, die den Spaß am Auto einfach zerstörten. Auslöser war, dass der Tachogeber ausgefallen ist und die Welle des kaputten Gebers im Getriebe festhing. Beim Ausbauen des Teils stellte ich fest, dass auch hier gepfuscht wurde und das alte Teil nur mit Kabelbindern in der Halterung befestigt war. Alter, das ist ein 15-Euro-Ersatzteil, das ist nun wirklich kein Betrag zum Sparen. Ich fischte die abgebrochene Welle aus dem Getriebe, passte das neue Teil ein und nach allen Versuchen, funktionierte es trotzdem nicht. Werkstätten wollten nicht helfen, da laut Renault Handbüchern das Getriebe ausgebaut werden muss, um das Teil zu wechseln. Da das Steuergerät nicht „weiß“, dass sich das Auto gerade bewegt, stellt es die elektrische Servolenkung auf volle Unterstützung, was ab 60 km/h abenteuerlich werden kann und das ABS funktioniert nicht mehr.
Hand aufs Herz: Jede Sekunde, jeder Cent und jeder Tropfen Schweiß, der in den alten Twingo gesteckt wird, zahlt sich nicht aus. Ich habe zwar Alu-Butyl-Matten und Rohrdämmungs-Material gekauft und bereitliegen um den Kleinen zu „entdröhnen“, letzten Endes muss ich mir jedoch eingestehen, dass das keine wirkliche Verbesserung sein wird. Weder die Sitze werden dadurch bequemer, noch das Auto weicher, sondern lediglich etwas humaner.

Zum mitnehmen, bitte.
Da ist mehr, was ich in dieser Zeit für mich mitnehmen konnte: Zum einen ist es die Verbindung zu Deniz – wir haben gemeinsam mit einem Auto sehr gleiche und doch unterschiedliche Erlebnisse und Erfahrungen haben dürfen. Wir haben gesehen, wie sich der Twingo auch optisch verändert hat seit er den Besitzer gewechselt hat und obwohl uns beiden die Themen auch so nie ausgehen: Unser Twingo ist immer ein Thema wenn wir uns sehen.
Zum anderen ist es die Erkenntnis, dass man nicht viel braucht um glücklich zu sein. Der Twingo hat weder Leistung noch Ausstattung und trotzdem zaubert er einem ein Lächeln ins Gesicht: Weil er einfach einfach ist. Wir sind ganz schön verwöhnt in der Zwischenzeit und können uns nicht mehr vorstellen ein solch schwach motorisiertes Auto zu bewegen. Klimaanlage, elektrische Fensterheber, mindestens 150 PS und allerlei Kleinkram gehören heute einfach dazu, schließlich „geht’s nicht ohne“ – was ich für einen Trugschluss halte.
Letzten Endes zählt der Charakter des Wagens, nicht die technischen Daten. Ich liebe leistungsstarke Autos und erwische mich oft dabei, wie ich darüber nachdenke, wie ich meinen 5er noch ein wenig schneller machen könnte – muss aber zugeben, dass es manchmal ganz gut tun kann sich etwas mehr Zeit zu lassen.

Was kommt als nächstes?
Autos sind für mich eine Art Reise. Man beschäftigt sich mit den markenspezifischen Eigenheiten, dem Stil und den Menschen, die diese Autos fahren. Was der Nachfolger sein wird, ist noch nicht sicher. Es wird jedoch ein Auto bzw. ein Hersteller, den ich noch nicht mein Eigen nennen durfte und der mir nicht zwangsweise gefällt. Nur wenn man diesen Schritt geht, kann man auch etwas komplett Neues entdecken! Zur Auswahl stehen Mercedes Benz W202, Volkswagen Golf IV und sämtliche Audis und Opels.
Ich bleibe nach wie vor bekennender Twingo-Fan, für mich ist es eins der gelungensten Kult-Autos unserer Zeit und ich bin überglücklich, diese Reise gegangen zu sein. Er fehlt mir nicht und mein Verlangen, einen Twingo zu fahren ist erstaunlich gering – ich bin bereit für das nächste Abenteuer.